Marketing oder Markt machen?
“Marketing” ist ein amerikanisches Wort. Und bis heute gibt es keine wirklich treffende Übersetzung für diesen Begriff ins Deutsche. Am ehesten trifft vielleicht noch der Begriff „Markt machen“ zu – in dem Sinne, dass Unternehmen versuchen, ihr Produkte (inklusive dem Preis, der Verpackung, der Beschreibung, dem Nutzen usw.) an Menschen zu verkaufen, von denen sie glauben, dass diese sie benötigen. Schlimmer noch, dass Unternehmen ihre Produkte an Menschen verkaufen, denen sie glaubhaft machen, dass diese sie benötigen. Ich will sagen, dass das Marketing zunächst erst einmal das Bedürfnis bei den Kunden implizieren muss, bevor sie bereit sind, ein Produkt zu kaufen.
Kein Wunder, dass der Begriff „Marketing“ deswegen nicht nur Freunde hat. Gerade in Deutschland gibt es viele Menschen, bei denen der Begriff „Marketing“ emotional nicht weit vom Begriff „Manipulation“ entfernt liegt. Ganz besonders trifft dies auf den Begriff „Online-Marketing“ zu.
Wer hat welche Daten?
Das hat seinen Grund und das Misstrauen ist durchaus gerechtfertigt. Vor allem in der heutigen Zeit, in der überhaupt nicht mehr klar wird, wer eigentliche welche Daten von wem auf seinen Servern speichert und auswertet.
Marketing ist historisch gewachsen. Im frühen Zeitalter der Industrialisierung (Marketing 1.0) entdeckten die Unternehmen die Reklame. Reklame diente in einer Zeit, in der es ständig neue Produkte gab, vor allem der Produkt-Information. Die Kunden mussten aufgeklärt werden, wozu ein Kühlschrank, ein Bügeleisen oder ein Elektromotor diente.
Im Zeitalter der Fließbandfertig ändert sich das Verständnis von Produktion. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Problemlösung für Einzelkunden, sondern die Massenproduktion. Das Ziel besteht darin, durch große Volumen Skaleneffekte zu erzielen und den Markt über den Preis zu dominieren. Massenproduktion braucht Massenkommunikation (Marketing 2.0). Die Aufgabe der Werbung bestand nun darin, große Kundenzahlen zu erreichen. Werbung begann zunächst mit Printanzeigen, verlagerte sich in Fernsehen, ins Radio und schließlich ins Internet. Das Credo der Marketingmacher lässt sich auf den einfachen Satz reduzieren „Viel hilft viel!“ Viel Budget = Viel Werbung = viele Kunden. Goldene Zeiten für Werbeagenturen und Verlage.
Die Kunden sind nicht nur an Produkten, sondern auch an Informationen gesättigt
Doch das Käuferverhalten hat sich verändert. Ende der 1990er Jahre ist der Markt (in den westlichen Industriestaaten) endgültig gesättigt. Die Bevölkerung nimmt ab, die Kunden werden älter. Es ist schwer weiter in diesen Markt zu pushen und darauf zu hoffen, dass die Empfänger auf diese Form der Werbung noch reagieren. Denn tatsächlich sind die Kunden nicht nur an Produkten, sondern auch an Informationen gesättigt. Die Marketing-Manager haben übertrieben. Viel ist zu viel. Deswegen haben sie sich mit Begeisterung auf das neue Medium gestürzt: Die „sozialen“ Netzwerke.
Social-Media ist ein Kind der frühen 2000er Jahre. Unternehmen pushen ihre Werbung in Internet-Gruppen und Foren, in denen sich die Menschen in ihrer Freizeit aufhalten und sich unterhalten wollen. Ja klar, Werbung kann auch unterhaltsam sein. Aber aus meiner Sicht sind Banner, Ads und Digitale Anzeigen einfach ebenso aufdringlich wie ein Außendienst-Vertreter, der seinen Fuß in die Tür stellt. Hat ihnen irgendjemand erlaubt, die privaten Gespräche mit Freunden, Kollegen und Kommilitonen zu unterbrechen?
Marketing und Werbung wird nicht mehr in Präsenz, sondern in Prozessen kommuniziert
Doch es kommt noch schlimmer. Seit wenigen Jahren sprechen die Marketing-Profis von Marketing 4.0. Werbung wird nicht mehr in Präsenz, sondern in Prozessen kommuniziert. Ebenso wie in der Fertigung 4.0, bei der die Produktionsdaten von der Anlieferung des Werkstücks (Attraction) über die Fertigung (Conversion) bis zur Auslieferung (Close) und der Kundennutzung (Delight) gesammelt, gespeichert und analysiert werden, werden im Marketing 4.0 die Kunden mit Tags versehen und durch den gesamten Prozess verfolgt.
Doch Menschen sind keine Werkstücke! Wer gibt den Unternehmen die Erlaubnis (vor allem den Großkonzernen) die Daten zu tracken und international zu horten? Gibt es eine Möglichkeit, dass Kunden über diese Daten Auskunft erhalten können? Gibt es eine Möglichkeit zu wissen, dass diese Daten irgendwann auch einmal wieder gelöscht werden?
Jeder Kunde, der sich über ein Produkt oder eine Dienstleistung informieren will, muss sich irgendwann einmal in ein Opt-in-Feld eintragen. Er stimmt zu, dass er seine Daten gegen irgendeine kleine Information (Leadmagnet) tauscht. Aber wissen die Kunden auch, dass sie dann anschließend für immer in irgendwelchen Funnels und Upsales-Kampagnen gefangen bleiben?
Monstermäßige Datenkraken
Marketingmanager können an dieser Stelle die Schultern zucken und sagen: „Das ist ihr Problem, das steht doch alles im Kleingedruckten…“ Aber ist so ein Verkauf noch moralisch? Ist es das, wie wir uns das Marketing der Zukunft vorstellen? Monstermäßige Datenkraken, die ihre Kunden nicht mehr aus den Fängen lassen?
Es kommt noch viel schlimmer! Der aktuelle Hype heißt Facebookmarketing. Wer hier seine Kunden akquirieren möchte, kann sich die Nische seiner Wunschkunden bis auf deren intimsten Vorlieben und persönlichsten Meinungen sequenzieren. Jeder Geheimdienst muss auf die Datensammlungen vollautomatisierter Marketingabteilungen neidisch sein. Die Marketingmonster sammeln nicht nur die Klicks, sondern auch von welchem Server, zu welcher Uhrzeit und mit welcher Geschwindigkeit potentielle und aktuelle Kunden ihre Kampagnen durchlaufen. Marketingmanager bei Amazon brüsten sich damit, dass sie anhand des Einkaufsverhaltens ihrer Kundinnen wissen, ob eine Frau schwanger ist, ob die Ehe in Gefahr ist oder ob sonstige Probleme oder geheime Wünsche bei ihren Kunden vorliegen. Was ist Marketing und wo beginnt die Moral?
Es gibt Kommentatoren, die bemängeln, dass in mittelständischen Unternehmen zu wenig in digitales Marketing investiert wird. Doch vielleicht ist dieses Zögern genau das Richtige? Der Schritt in vollautomatisiertes BigData-Marketing will sorgfältig überlegt sein. Entspricht die monstermäßige Datensammelwut tatsächlich den Unternehmens Leitlinien (Compliances)? Haben nicht die mittelständischen Unternehmen von je her eine gute und vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kunden, die sie nicht leichtfertig aufs Spiel setzen wollen?
Technisch ist soviel möglich wie nie (Stichworte AI, Cognitive Computing usw.) Die ungebremste Sammelwut von Daten verschiebt jedoch das Informations- und damit auch das Kräfteverhältnis zwischen Kunden und Unternehmen. Es wird sich langfristig auch auf die Beziehung zwischen Kunden und Unternehmen auswirken. Ist es das, wie wir in zukünftig Geschäfte machen wollen?
Was nun?
Ich möchte Unternehmer und Marketing Manager dazu aufrufen verantwortungsbewusst mit Daten umzugehen, davor aber nicht zurückschrecken. Denn Fakt ist, dass Online Marketing neben besprochenen negativen Aspekten auch viele positive Chancen und Möglichkeiten mit sich bringt. Es liegt heute an uns, verantwortungsbewusst und vertrauensvoll mit den Daten unserer Kunden umzugehen. Ist es dann nicht genau hier sinnvoll, dass wir uns im Online-Marketing auskennen?
Wer sich zum Beispiel zum Thema Facebook Marketing qualifizieren möchte, dem empfehle ich folgenden Videokurs. Denn sind wir mal ehrlich, Sie wissen genauso gut wie ich, ohne Online-Marketing werden Unternehmen zukünftig untergehen. Warum also nicht Online Experte werden und selber entscheiden, welche Daten und Informationen kommunizieren.
Was denken Sie?
Ich freue mich auf Ihren Kommentar.
W.h.
P.S.: Erfolg macht glücklich!